Wir sehen uns leider darin bestätigt, dass Zensurinfrastruktur – ganz unabhängig vom Land, in dem sie eingesetzt wird – früher oder später auch zur Durchsetzung politischer Interessen eingesetzt wird.
(Dirk Engling, Chaos Computer Club, zu staatlichen regulierten Inhaltsfiltern im Internet)
Für viele Menschen mögen sie Zukunftsmusik sein, aber sie kommen mit großen Schritten auf die Gesellschaft zu: Digitale Zentralbankwährungen (Central Bank Digital Currencies, CBDCs) sollen zwischen 2023 und 2025 durch die EZB in Europa, der Federal Reserve in den USA, Indien, China und vielen weiteren Ländern eingeführt werden und die Handhabung und Integrität von Peer-to-Peer-Zahlungen im digitalen Raum ermöglichen. In einzelnen Ländern, wie den Bahamas, gibt es sie bereits heute.
Auch der Internationale Währungsfond (IMF) betrachtet die fortschreitenden Entwicklungen mit Wohlwollen. Allen Überlegungen liegt der Ausgangspunkt zu Grunde, die Eigenschaften von physischem Bargeld in den digitalen Raum zu transferieren und zugleich die Vorteile der schnelleren Übertragbarkeit sowie Programmier- und Nachverfolgbarkeit von digitalen (Wert-)Informationen zu nutzen.
Je nach Region sind die Überlegungen und technischen Umsetzung unterschiedlich weit fortgeschritten. Von allgemeinen Untersuchungsprojekten zum E-Euro (mit Prototypsplänen für 2023) und dem “Digital Dollar” in den USA, über fortgeschrittene Einführungspläne in Indien in 2022 bis hin zu bestehenden Implementierungen mit Pilotprogrammen in China.
Wie bei allen zentralisierten Digitalisierungsprojekten muss eine Abwägung zwischen dem Bewahren von Privatsphäre der Anwender und der Sicherheit und Kontrolle für die Administration gemacht werden. Es ist leider anzunehmen, dass CBDCs als staatliche Infrastruktur mit ihrem zentralen Zugriff auf Transaktionen auch neue Möglichkeiten zur Verfolgung und Oppression von politischen Gegnern schaffen werden, auch wenn die ausgegebene Motivation zur Einführung andere sein sollten.
In diesem Artikel möchten wir diese potenziellen Gefahren von CBDCs aufzeigen, denn die gesellschaftlichen Implikationen für Privatsphäre und Menschenrechte von CBDCs werden bisher nicht ausreichend im Mainstream, sowie von Bürgerrechts- und Internet-Aktivisten und Journalisten thematisiert.
Zentralbanken stellen Flexibilität, Sicherheit und Integrität in den Vordergrund
Im Jahr 2021 haben Zentralbanken als auch Geschäftsbanken mit der Kommunikation zu digitalen Zentralbankwährungen wie dem digitalen Euro begonnen. Ein Hauptaugenmerk wird hierbei auf die geringeren Kosten bei der Geldschöpfung, der Distribution und internationalen Transaktionen gelegt. Darüber hinaus sollen sie einen flexiblen Einsatz im digitalen Raum ermöglichen (z.B. für Mikrotransationen und IoT-Einsatz).
Weniger offensichtliche und seltener kommunizierte Vorteile bieten CBDCs für Lenker in der Geld- sowie Finanzpolitik und Strafverfolgungsbehörden. Dazu gehört zum Beispiel die leichtere Unterbindung und Verfolgbarkeit von Geldwäsche und illegalen Geschäften sowie die direktere Durchsetzung geldpolitischer Maßnahmen. Nicht zuletzt soll die Akzeptanz von Fiatgeld im digitalen Raum erhöht werden angesichts der Verbreitung freier, digitaler und “Internet-nativer” Währungen wie Bitcoin.
Äußerungen von Zentralbankern und einflussreichen Personen wie Agustin Carsten von der Bank of International Settlements (BIS) geben einen Einblick in die Ziele, die die Menschen an den Hebeln der Geldpolitik verfolgen, und sie verheißen für die Privatsphäre der Bürger nichts Gutes.
With Cash, we don’t know who is using a $100 bill today, we don’t know who is using a 1000 Peso bill today. A key difference with the CBDC is that the central bank will have absolute control on the rules and regulations that will determine the use of that expression of central bank liability. And also we will have the technology to enforce that.
(Agustin Carstens, Bank for International Settlements)
The head of the Bank for International Settlements, often called the central bank for central banks, declares he wants “complete control” over money via banning cash in favor of Central Bank Digital Currencies... an openly stated “very important” goal.
— Swan Bitcoin Client Services (@SwanBitcoin) March 19, 2021
pic.twitter.com/BNMOEi5iGu
Die Anwendungsmöglichkeiten von digitalem, programmierbarem Geld werden unterschätzt
Diese Anstrengungen fußen zu großen Teilen auf der Blockchain & Distributed Ledger Technologie (DLT) und können unterschiedliche Ausprägungsformen bei der Einbindung von Geschäftsbanken einnehmen. Sie ermöglichen die Aufzeichnung aller Transaktionen von Sender und Empfänger sowie die Programmierung der genutzten digitalen Geldeinheiten. Daraus ergeben sich unter anderem folgende Anwendungsfälle bei der Steuerung des Geldes:
- Geld, das nur bei bestimmten Händlern eingesetzt werden kann (z.B. zur Stimulation der Landeswirtschaft und Verhinderung der „finanziellen Abwanderung“)
- Das Vergeben eines „Haltbarkeitsdatums“ oder eines negativen Zinses zur Verringerung der Sparquote und Stimulation der Wirtschaft innerhalb eines festgelegten Zeitraums. Nicht ausgegebenes Geld verfällt.
- Geld, das digital markiert wird (z.B. bei Verdacht auf illegale Aktivitäten oder zur Verhinderung von Geldwäsche)
- Sperrung und Einzug von Adressen (Konten) oder Auslösen von Transaktionen auf Knopfdruck
Diese Anwendungsmöglichkeiten werden selten thematisiert und mögen für Bürger von Demokratien und mit verhältnismäßig stabiler Landeswährung und sozialer Marktwirtschaft dystopisch klingen. Menschen in Ländern mit hoher Inflation wie dem Libanon, die ihre Ersparnisse in andere Währungen und Anlageklassen retten wollten, spüren aktuell schmerzlich, was es bedeutet, wenn zentrale politische Organe alle ihnen verfügbaren Hebel in Bewegung setzen, um eine kollabierende Landeswährung zu retten.
Nun mag mancher Leser einwenden, dass Geld heute bereits zu großen Teilen „digital“ als Einsen und Nullen auf unseren elektronischen Bankkonten vorliegt und nur ein Bruchteil als tatsächlich physisches Bargeld in Umlauf ist. Der Unterschied ist, dass die CBDCs basierend auf digitaler Ledger-Technologie (DLT) ein zentrales Register der Konten, Transaktionen und Transaktionsparteien darstellen, während heutige Konten „dezentral“ durch Geschäftsbanken verwaltet werden und auch keine zentrale Zusammenführung und Kontrolle erfolgt.
Während politische Organe heute noch gerichtliche Beschlüsse erwirken müssen, um Einsicht in Transaktionsparteien zu bekommen (und im äußersten Fall Konten zu sperren), legen CBDCs den Parteien mit Zugriff auf das System diese technischen Eingriffsmöglichkeiten direkt in die Hand. Die Grenzen zwischen Exekutive und Judikative bei Eingriffen in finanzielle Autonomie und Privatsphäre im digitalen Raum verschwimmen.
CBDCs – ein (zu) mächtiges politisches Instrument?
Auch bei bestehendem Vertrauen in aktuelle Regierungsparteien und handelnde Personen in Zentralbanken ist Skepsis angebracht. Legislaturperioden sind begrenzt und Beispiele aus den USA, Brasilien und Ungarn zeigen, wie schnell auch in vermeintlich stabilen Demokratien Politiker zur Macht kommen können, für die die Gewaltenteilung eher ein Hindernis als eine zu bewahrende Errungenschaft der Demokratie ist.
Insofern sollte die Maxime gelten „Gestalte Gesetze und politische Instrumente so, dass Du sie auch deinen größten Feinden anvertrauen könntest“. Zentralbankwährungen sind in den Händen autoritärer Regierungen ein mächtiges Instrument zur vollständigen finanziellen Überwachung und Unterdrückung von politischen Gegnern, Journalisten und Menschenrechtlern – auch wenn aktuell handelnde Personen die Wahrung von Grundrechten beteuern.
Leider decken auch heute schon investigative Journalisten regelmäßig auf, dass technische Möglichkeiten nicht nur zur Verbrechensbekämpfung, sondern unter Vorwänden auch zum Ausspähen politischer Opposition, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten genutzt werden – zuletzt mit der Spähsoftware Pegasus. Auch in Europa.
Öffentliche Auseinandersetzung ist notwendig
Bürgerrechts- und Netzaktivisten und -journalisten sind daher angehalten, sich mit den potenziellen Gefahren von CBDCs und ihrem de-facto Status einer technisch vorgehaltenen zentralen Finanzinfrastruktur stärker auseinanderzusetzen und diese kritisch zu betrachten. Beteuerungen offizieller Organe, dass die Infrastruktur nicht zur Beschneidung von Grundrechten führen wird, sind bei der gleichzeitigen Bereitstellung der technischen Möglichkeiten irgendwo zwischen “guten Intentionen” und “Lippenbekenntnissen” zu bewerten (siehe das Zitat eingangs dieses Textes).
Wenn z.B. von Jonas Groß - Vorsitzendem der Digital Euro Association - berichtet wird, dass eine eventuelle Wertobergrenze für anonyme P2P-Zahlungen beim E-Euro möglichst hoch angesetzt werden sollte (da anzunehmen sei, dass diese im Laufe der Jahre weiter abgesenkt werden werde), dann klingt das danach, dass eine vollständige Überwachung aller Finanztransaktionen nur aufgeschoben aber nicht aufgehoben ist. Und so sollte die Öffentlichkeit genau hinschauen, um das Missbrauchspotenzial auszuschließen.
Zu dieser Auseinandersetzung gehört auch die Beschäftigung mit offenen und zensurresistenten Alternativen wie Bitcoin. Dies ist kein Aufruf zur Investition (es liegt dem Autor fern, ein offenes Protokoll als „Investition“ zu bezeichnen). Es ist verständlich, wenn bisher eine Positionierung zu digitaler Finanzinfrastruktur und zu einem offenen und nativen Wertprotokoll für das Internet vermieden wurde. Schließlich steht bei finanziellen Themen auch immer die „cui bono?“-Frage im Raum.
Angesichts des Missbrauchspotenzials, das von einer zentralen Finanz(zensur)infrastruktur wie CBDCs für Privatsphäre, sowie Bürger- und Menschenrechte ausgeht, ist aus Bürgerrechts- und Datenschutzperspektive zu hoffen, dass Bitcoin als offene, sichere, inklusive und zensurresistente Alternative zu CBDCs erkannt wird und dass CBDCs eine Randerscheinung bleiben und als geschlossene Protokolle schließlich in Europa den selben Weg der DeMail gehen.