Roya Mahboob, die Gründerin von Citadel – eines der ersten Unternehmen, das seit 2013 Bitcoin in Afghanistan förderte, - vertritt die Meinung, dass ihre Heimat die digitale Währung nun mehr denn je braucht.
Roya Mahboob war gerade sieben Jahre alt, als die Taliban die Macht in Afghanistan übernahmen. Sieben weitere Jahre verbrachte ihre Familie als Flüchtlinge im Iran, bevor sie 2003 wieder in Mahboobs Heimatstadt Herat zurückkehrten. Sie fanden die Region stabilisiert vor, die Beschränkungen waren lockerer als unter den Taliban, und neue wirtschaftliche Chancen lagen in der Luft.
I. Die Entdeckung des Internets
Für die Teenagerin, für die so lange alle Zugänge zu Bildung und Wissen eingeschränkt oder sogar verschlossen waren, war die faszinierendste Neuerung das Internetcafé. Obwohl es Frauen eigentlich nicht erlaubt war, verschaffte sich Roya durch Hartnäckigkeit schließlich Zutritt und verliebte sich in die Technologie. Sie besuchte einen sechsmonatigen Computerkurs für Frauen, organisiert von den Vereinten Nationen, und schrieb sich 2004 an der Universität von Herat für ein Informatikstudium ein.
Der Wunsch, die Welt durch Technologie zu verändern, begleitet sie in den folgenden Jahren, in denen sich die Studentin zur Koordinatorin der IT-Abteilung der Universität hocharbeitete und am SILK-Afghanistan Projekt der NATO mitwirkte - eine Initiative mit dem Ziel, die Universitäten in Afghanistan mit Glasfaseranschlüssen zu versorgen.
II. Mahboobs Zitadelle
Ein neues Kapitel schlug Mahboob 2009 nach einem Treffen mit Paul Brinkley, dem stellvertretenden US-Unterstaatssekretär für Verteidigung, auf. Mit Hilfe der Verträge mit der US-Regierung und multilateralen Organisationen baute sie Citadel Software auf, eine „Zitadelle“ der Softwareprogrammierung und ein sicherer Ort für arbeitstätige Frauen. In Afghanistan war Roya somit der erste weibliche Tech-CEO, und das eines erfolgreichen Unternehmens, das zu 85% aus Frauen bestand. Auch Aufträge der afghanischen Regierung ließen nicht lange auf sich warten.
Gleichzeitig gründete Mahboob die Plattform WomanNX, die Afghaninnen in der Oberstufe und an Hochschulen half, von zu Hause aus zu arbeiten. Diese Frauen, wie auch die Angestellten bei Citadel, bezahlte Roya in Bargeld, welches jedoch oft von männlichen Verwandten kontrolliert wurde, oder – wenn die Frauen es an Familie und Händler in anderen Teilen des Landes verschicken wollten – im Hawala-System versickerte. Dies ist ein veraltetes, langsames Geldtransfernetzwerk aus dem 8. Jahrhundert, das sich auf Makler und vertrauenswürdige Vermittler stützt. Auf der Suche nach einer Alternative beschäftigte sich Mahboob mit mobilfunkgestützten Zahlungssystemen wie M‑PESA, die ihren Mitarbeiterinnen Kontrolle über ihr eigenes Gehalt erlauben würde.
III. Bitcoin betritt die Bühne
Es war ein italienischer Geschäftspartner, der Mahboob Anfang 2013 von Bitcoin erzählte, einer Technologie, die für sie zu interessant war, um sie zu ignorieren, und die für Roya eine digitale Ergänzung des Hawala-Systems darstellte. So zeigte sie ihren Angestellten und Auftragnehmerinnen, wie sie Bitcoin-Wallets installieren, Geld versenden und empfangen, und ihre Ersparnisse sichern konnten. Die Frauen waren begeistert: Mahboobs Schwester Elaha baute ein Unternehmen auf, das Bitcoin gegen Bargeld erwarb und zudem konnte in Herat in manchen Geschäften Kleidung mit Bitcoin gekauft werden. Die Kryptowährung gab den Frauen Sicherheit und Unabhängigkeit von den Männern in ihrem Leben.
Auch Citadel hatte sein ganzes Geldvermögen in Bitcoin angelegt und das Geschäft lief gut – bis im November 2013 der Bitcoin abstürzte und 60% des Wertes gegenüber des US-Dollars verlor. Mahboob musste nicht nur das Unternehmen verkleinern und viele Angestellte entlassen, sie konvertierte auch fast alle Bitcoins in US-Dollar, um die Krypto-Ersparnisse ihrer Mitarbeiterinnen in Fiatgeld auszuzahlen und vor weiterem Wertverlust zu retten. Es folgten harte Jahre, doch schon 2014 gründete Roya den Digital Citizen Fund (DCF), eine gemeinnützige Organisation, die Frauen Computertechnik vermittelt.
Seit 2016 sind Mahboobs Hauptanliegen der DCF und die Vermittlung des Umgangs mit Bitcoin – wie die Einrichtung einer Wallet und die Funktionsweise des „Blockchain“-Ledger-Systems des Netzwerks. Tausende von Frauen hatten bis August 2021 dank dieses Wissens finanzielle Freiheit erlangt und auch weiterhin sollen afghanische Mädchen und Frauen mehr über Bitcoin lernen. In den letzten Jahren hatten sogar Vermittler des Hawala-Systems sich mit Bitcoin auseinandergesetzt und immer mehr Menschen kauften die Kryptowährung im Austausch gegen Bargeld. Roya sieht demnach Bitcoin auch nicht als eine westliche Innovation, sondern als ein globales Instrument der finanziellen Freiheit, mit dem Frauen gestärkt werden können. Und obwohl sie persönlich Bitcoin heute vor allem als Sparkonto und als Investition für die Zukunft nutzt, ist es für Mahboob mehr als das: „Es ist eine Revolution.“
IV. Ein Ausweg für Flüchtlinge
Für Laleh Farzan, einer ehemaligen Mitarbeiterin Mahboobs, war Bitcoin ein Ausweg. Als sie 2016 von den Taliban wegen ihrer Arbeit mit Computern bedroht wurde und mit ihrer Familie nach Europa floh, wurde ihnen von Schleppern und Dieben fast ihr ganzes Hab und Gut gestohlen, oder es versank auf der gefährlichen Überfahrt im Mittelmeer. Doch das Stück Papier mit dem Schlüssel zu ihrer Wallet trug Farzan unbehelligt bei sich, und konnte dank des Verkaufs ihrer Bitcoins in Deutschland ein neues Leben beginnen.
Mahboob ist überzeugt, dass Bitcoin in den letzten Wochen für viele Menschen, die entweder geflohen sind oder eine Alternative zum afghanischen Geld brauchten, eine Hilfe gewesen wäre.
V. Wirtschaftlicher Zusammenbruch
Afghanistan war nicht nur Schauplatz der bisher längsten militärischen Operation der USA, in der über 240 000 Menschen ihr Leben verloren und 2,5 Millionen aus dem Land flüchteten. Mahboob kritisiert auch die westliche „Unterstützung“ ihres Heimatlandes. Nur 10 bis 20% der 144 Milliarden Dollar, die investiert wurden, kamen bei den Afghanen und Afghaninnen an. Der Rest floss zurück in die US-Wirtschaft. Zudem beschuldigt Roya die korrupte Regierung und den Egoismus von Männern wie dem Ex-Präsidenten Ghani und seinen Vorgängern für den schnellen Zusammenbruch Afghanistans.
Nun befindet sich das Land nach dem Fall von Kabul an die Taliban in einer wirtschaftlichen Notlage. Bankkonten und Hilfsfonds wurden eingefroren, die Wirtschaft wird durch Sanktionen eingeschränkt, der Afghani ist auf einem Rekordtief. Western Union und MoneyGram – zwei der weltweit größten Geldübermittler – haben ihre Dienste eingestellt, und Asef Khademi, ehemaliger Mitarbeiter eines Projekts der Weltbank zur Digitalisierung der Zahlungsverkehrts in Afghanistan, befürchtet, dass jeglicher erzielte Fortschritt durch die Taliban vernichtet werden könnte. Es drohen Hyperinflation und ein Rückgang der Wirtschaft um 20%, wenn nicht sogar Demonetisierung, falls der Afghani, 2002 von der US-gestützten Regierung eingeführt, von den Taliban als nicht islamisch genug erachtet wird.
VI. Bitcoin löst das Problem
In dieser Situation ist Bildung, und gerade finanzielle Bildung rund um Bitcoin, ein wichtiges Gut. Mahboob verhandelt daher mit den Taliban über die Weiterführung ihres Technologie- und Finanzunterrichts für Mädchen in Herat. Ihr Ziel ist es, Bitcoin als halal zu etablieren und als digitales Hawala‑System, ein uralter Bestandteil der afghanischen Kultur, darzustellen.
Laut Schätzungen ist fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung online. Doch Roya ist der Meinung, dass viel mehr, vor allem die junge Bevölkerung, über ihre Handys Zugang zum Internet haben, was die Taliban vorerst tolerieren. So könne man Frauen an der digitalen Wirtschaft teilnehmen lassen, und Bitcoin ist ein wichtiger Schlüssel dazu. In den kommenden Bildungsprogrammen des DCF soll daher die Kryptowährung und das Thema „die eigene Bank sein“ im Mittelpunkt stehen.
Mahboob verspricht, dass sie weiterkämpfen, und noch viel mehr für die Aufklärung über Bitcoin leisten werde. Anstatt von außen zu kritisieren, will sie vor Ort aktiv sein und Veränderungen bewirken. Roya ist überzeugt: „Die Frauen werden es schaffen!“
Dieser Artikel, aus dem Original “Finding Financial Freedom in Afghanistan” von Alex Gladstein, wurde übersetzt und paraphrasiert von greeza.