Die technologische Innovation von Bitcoin kann von jedem genutzt werden, auch von Fanatikern; aber das sollte nicht den Ruf des gesamten Netzwerks beschmutzen.
Das Southern Poverty Law Center (SPLC) hat einen neuen Bericht über die Verwendung von Bitcoin und anderen Kryptowährungen durch weiße Rassisten und Rechtsextremisten veröffentlicht. In dem Bericht bringen Megan Squire, Senior Fellow für Datenanalyse, und der investigative Reporter Michael Edison Hayden 600 Adressen mit weißen Rassisten in Verbindung und schätzen, dass sie einen Wert von “mehreren Millionen Dollar” haben. Kevin Collier und Brandy Zadrozny, die für NBC News schreiben, griffen die Geschichte auf und titelten: “Bitcoin Surge Was A Windfall For White Supremacists, Research Finds”.
Bitcoiner wissen, was zu tun ist: tief durchatmen. Lassen Sie den FUD durch sich hindurchfließen. Bewahren Sie stoische Gelassenheit. Seit mehr als einem Jahrzehnt haben die Medien dieses Open-Source-Protokoll und diejenigen von uns, die es verwenden, mit allen möglichen Übeln in Verbindung gebracht: Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Terrorismusfinanzierung, Ponzi-Betrug und mein persönlicher Favorit, das Brodeln des Ozeans. Solche schlecht argumentierten und schlecht informierten Angriffe kann man ruhig abwehren oder einfach ignorieren. Wir stapeln Satoshis. Wir bleiben bescheiden. Es ist ein ganz normaler Tag im Leben eines Bitcoiners.
Aber dieses Mal ist es anders. Die weiße Vorherrschaft ist echt, und sie ist widerwärtig. Diejenigen unter uns aus Portland, Oregon, kennen es, wenn regelmäßig Hassgruppen durch unsere Stadt marschieren und dabei die Gewalt auf die Straße bringen. Für die Betroffenen - zu denen ich nicht gehöre - stellen diese Gruppen nicht nur einen Angriff auf ihre Persönlichkeit und Würde dar, sondern auch eine Bedrohung ihrer Sicherheit und körperlichen Unversehrtheit. Daher fällt es mir schwer, diese Geschichte unkommentiert an mir vorbeiziehen zu lassen.
Weder der ursprüngliche Bericht noch die nachfolgende NBC-Story liefern einen Kontext für ihre Erkenntnisse. Sie weisen lediglich darauf hin, dass politische Randgruppen 600 Adressen und potenziell Bitcoin und andere Kryptowährungen im Wert von mehreren zehn Millionen Dollar kontrollieren. Was sie jedoch nicht erwähnen, ist, dass es weltweit mehr als 200 Millionen Bitcoin-Adressen mit einem Wert von fast einer Billion Dollar gibt.
Das bedeutet, dass diese Hassgruppen 0,0003 % der Adressen und etwa 0,0001 % des Bitcoin-Wertes besitzen - eine weit weniger überzeugende Schlagzeile. Stellen Sie sich vor, der Besitz von Amazon-Aktien könnte in einem öffentlichen Register nachverfolgt werden und einige weiße Rassisten wären relativ frühe Investoren, die nun 0,0003 % der Aktionäre ausmachten. Würde dies das gesamte Unternehmen und alle anderen Aktionäre in Verruf bringen? Wäre es eine überhaupt eine Meldung wert? Ich denke, wir kennen alle die Antwort darauf.
Weder der ursprüngliche Bericht noch die NBC-Story beachten, dass die Zensurresistenz, die Bitcoin für Hassgruppen in den USA nützlich macht, es auch ermöglicht, Dissidenten und unterdrückte Minderheiten von Palästina über Kuba bis Nigeria und Weißrussland zu unterstützen. Leser des Bitcoin Magazine, die die Arbeit des Menschenrechtsaktivisten Alex Gladstein verfolgen, werden mit Dutzenden solcher Beispiele vertraut sein. Die SPLC-Forscher verfolgen nicht die Wallets von Frauen in Afghanistan - und das sollten sie auch nicht! - die bereits 2013 in Bitcoin bezahlt wurden. Ihre Gewinne ermöglichten es einer Frau, ein neues Leben in Deutschland zu beginnen, einer anderen, ihre Studiengebühren in den USA zu bezahlen. Die Forscher verfolgen nicht - und das sollten sie auch nicht! - die Wallets der Feminist Coalition in Nigeria, deren Bankkonten eingefroren wurden und die stattdessen auf Bitcoin umgestiegen sind. Die Forscher verfolgen nicht - und sollten es auch nicht! - die Wallets der kubanischen Bitcoin-Nutzer, deren Peso seit Ende 2020 zwei Drittel seines Wertes verloren hat und die sich ohne Bitcoin möglicherweise keine Grundnahrungsmittel mehr leisten könnten. Doch ohne eine solche Nachverfolgung sagt die bloße Tatsache, dass 600 Wallets von weißen Rassisten kontrolliert werden, nichts darüber aus, wer insgesamt von Bitcoin profitiert.
Diese Forscher scheinen auch nicht zu wissen, dass die internationale Nutzung von Bitcoin mit niedrigen nationalen Niveaus von Demokratie, Regierungsintegrität, Investitionsfreiheit, Geldfreiheit und Eigentumsrechten korreliert. Bitcoin gedeiht überall dort, wo Geld und gute Regierungsführung versagen. Was die inländische Szene betrifft, so scheinen diese Forscher nicht zu wissen, dass zwar nur 11 % der weißen Amerikaner Kryptowährungen besitzen, aber 23 % der schwarzen Amerikaner und 17 % der hispanischen Amerikaner.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der “Glücksfall”, der einer Handvoll weißer Rassisten in den USA zufiel, auch Millionen von Menschen weltweit bescherte. Doch anstatt zu untersuchen, wie Bitcoin auf breiter Ebene genutzt wird, werden die Identitäten hinter 600 Wallets dazu benutzt, Bitcoin selbst - und andere, die es nutzen würden - zu besudeln, während die restlichen 199.999.400 Wallets ignoriert werden.
In dem NBC-Bericht wird zumindest offen eingeräumt, wie einfach es ist, Zahlungen nachzuverfolgen, indem man in sozialen Medien gepostete Adressen mit On-Chain-Transaktionen verknüpft: “Die Liste von 600 Adressen, die wir analysiert haben, ist einfach eine große Liste, die ich erstellt habe, um herauszufinden, wem was gehört, und die Art und Weise, wie wir diese Adressen bekommen, besteht darin, dass wir beobachten, wie diese Leute sich gegenseitig sagen, wohin sie das Geld schicken sollen”, sagte Squire. Es ist buchstäblich nur ein Nachschlagen in diesem öffentlichen Kassenbuch. Ist diese Transparenz nicht sogar ganz erfrischend? Vor allem, wenn man sie mit der gewollten Undurchsichtigkeit von Offshore-Firmen und Bargeld vergleicht, die sich beide nicht für diese Art von investigativem Journalismus eignen? Doch in den Berichten werden diese Alternativen nicht erwähnt.
Das eklatanteste aus einer progressiven Bitcoiner-Perspektive ist Versäumnis sich mit der eigentlichen Währung des weißen Rassismus zu beschäftigen, nämlich dem US-Dollar. Der Wert des Dollars entstand für die Weißen zuerst durch gewaltsame Eroberung, dann durch buchstäbliche Versklavung und danach durch die Jim Crow Segregation, Financial Redlining und die Masseneinkerkerung. Sich auf die Verwendung von 600 Bitcoin-Adressen durch weiße Rassisten zu konzentrieren und dabei dieses beschämende, systematische Erbe des Rassismus zu ignorieren, zeugt von einem beunruhigenden Mangel an Perspektive.
Weder die rassistische Geschichte des Dollars, noch das revolutionäre Potenzial von Bitcoin ist Schwarzen Bitcoinern natürlich entgangen. Dawdu M. Amantanah hebt in “Closing The Wealth Gap: Black America And Bitcoin Adoption” die Dezentralisierung von Bitcoin hervor, was bedeutet, dass das monetäre Netzwerk, anders als traditionelle Banken, finanzielle Inklusion und das Versprechen finanzieller Freiheit für alle bietet. Die Twitter-Person Lawrence Douglas, auch bekannt als @AxeCapYa, der einen Newsletter namens “Black And Bullish” veröffentlicht, erklärt: “Bitcoin ist der erste Vermögenswert, der es dem Durchschnittsbürger ermöglicht, gleichberechtigt an einem globalen Finanzsystem teilzunehmen. Seine niedrige Einstiegshürde ermöglicht es dem Bitcoin, das finanzielle Leben derjenigen zu verändern, die ihn als langfristigen Wertspeicher wählen.”
Black Bitcoin ist ein eigenes Universum mit Büchern wie “Bitcoin And Black America” von Isaiah Jackson, “Bitcoin And Black Powernomics” von Will Hobdy und “From Bars to Bitcoin” von Justin Rhedrick, sowie Webseiten, Twitter-Spaces, Clubhouse-Chatrooms, Podcasts, Clubs, Newslettern, FinTech-Apps und Konferenzen. Diese sprudelnde Welt, die ausschließlich von und für schwarze Investoren geschaffen wurde, zielt auf finanzielle Bildung und Unternehmertum ab und fördert den Wohlstand von Schwarzen mithilfe von Bitcoin und Kryptowährungen. SPLC und NBC erkennen die Existenz dieser Welt aber nicht an.
Es muss gesagt werden, dass bestimmte Ecken der Bitcoin-Gemeinschaft in der Tat auf verschiedene Weise bigott sind. Ich bin selbst Zeuge solcher Fälle geworden. Und wir alle müssen solche Bigotterie immer verurteilen, wenn sie uns begegnet, einfach als eine Sache des Anstands und der Menschlichkeit. Etwas Ähnliches war in den frühen Tagen des Internets zu beobachten, als Neonazis in Online-Bulletin-Boards rekrutierten. Damals haben die Gruppen der weißen Rassisten das Internet wahrscheinlich in einem größeren Ausmaß verschmutzt, als sie es heute mit der Bitcoin Blockchain tun, und in der Tat ist diese Online-Rekrutierung immer noch ein Problem. Die Algorithmen von YouTube und Facebook haben wahrscheinlich genauso viel zur Radikalisierung von Teilen unserer Gesellschaft beigetragen, wie alles andere. Dennoch fordern nur wenige eine Abschaltung des Internets oder beschämen alle seine Nutzer, weil es ein Rekrutierungsinstrument für Neonazis ist. Stattdessen erkennen wir die dem Thema innewohnende Schwierigkeit an: Es gibt unvermeidliche Kompromisse zwischen freier Meinungsäußerung, Nutzen und Sicherheit. Außerdem erkennen wir auch die Gefahren der Ermächtigung von Autoritäten, die bestimmen, welche Äußerungen in globalen Kommunikationsnetzen erlaubt sein sollen und welche nicht.
Vielleicht ist es zu viel verlangt, in der Ära von Clickbaits etwas mehr Subtilität und Komplexität zu fordern. Die eigentliche Frage ist jedoch, ob die Vorteile der Zensurresistenz von Bitcoin unterm Strich die negativen Folgen, dass Bitcoin auf auch von abscheulichen Menschen verwendet wird, überwiegen. Hier ist eine tiefgreifende philosophische Frage über die angemessene Reichweite und die Grenzen unserer Rechte auf Eigentum und Austausch verankert, sowie eine empirische Frage darüber, welche positiven und negativen Veränderungen durch die Bitcoin ermöglicht werden. Durch Mangel an angemessenen Vergleichen, durch Mangel eines Kontexts über das Netzwerk als Ganzes, durch Mangel einer Vorstellung von den Möglichkeiten, die Bitcoin über das gesamte moralische Spektrum hinweg bietet, bleibt uns nur ein mulmiges Gefühl, aber nichts von Substanz. Vielleicht war das aber auch der ganze Sinn der Sache.
Dieser Artikel ist eine Übersetzung des Originals in englischer Sprache.